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Die Welt der Seele

Lesen Sie nachstehend, liebe Leserinnen und Leser, Textauszüge aus dem Buch „Die Welt der Seele“ – aus den Werken Rudolf Steiners -, herausgegeben und kommentiert von Harald Haas.

Kapitel VI: Krankheit und Heilung

Irrtum und Krankheit

Dass Krankheiten nicht nur als physische Beeinträchtigungen gesehen werden können, sondern auch als Entgegnung auf das Wirken ahrimanischer und luziferischer Wesen zu verstehen sind, ist der heutigen medizinischen Ansicht gänzlich fremd. Der folgende kurze Auszug aus einem 1922 in London gehaltenen Vortrag Rudolf Steiners handelt davon, dass die ahrimanischen Wirkungen auf den Leib durch Erkrankungen wie » Geschwulst- bildungen» (Karzinome) oder Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes («Zuckerkrankheit») abgewehrt werden. Siegt Luzifer über Ahriman, so kann das «empfindliche katarrhalische Krankheiten» oder «irrsinnige Zustände» zur Folge haben. Extrem wird der Versuch des Wirkens von Luzifer und Ahriman auch im Vortrag vom 7. Oktober 1923 geschildert:

Das Wirken von Ahriman und Lucifer

Ahriman möchte den Menschen ganz verkalken und mit der Erde verbinden, Luzifer hingegen versucht, ihn durch Kohlensäure zu ersticken, damit er nicht mehr auf die Erde kommt (ein Bezug, der auch angesichts der heutigen Umweltproblematik aufhorchen lässt). Medizinisch ausgedrückt, können die Einflüsse der Widersachermächte also zu Sklerose, Karzinomen und Entzündungen, zu körperlichen und seelischen Krankheiten führen. Nehmen Sie einmal an, es gelingt den ahrimanischen Mächten, im menschlichen physischen Körper einen Sieg zu erringen über die luziferischen Mächte, über diejenigen Mächte, die den Menschen ganz durchsetzen wollen mit dem, was nur an der Oberfläche in den Sinnen sein soll, dann verfällt der Mensch durch diesen Sieg der ahrimanischen Mächte in solche Erkrankungen, wie Geschwulstbildungen, Karzinombildungen oder Stoffwechselkrankheiten, wie Diabetes, Zuckerkrankheit.

Wenn irgendwo in einer physischen Menschennatur diese Krankheiten auftreten, dann hat Ahriman gegen Luzifer einen Sieg errungen, der aber damit verknüpft ist, dass die physische Natur des Menschen zeitweilig ruiniert ist. Dann taugt diese physische Natur dem Ahriman nicht dazu, die Instinkte, Triebe herauszureißen und sein eigenes Geschlecht daraus zu bilden. Daraus bekommen Sie eine vielleicht paradoxe, aber richtige Ansicht von der Krankheit. Sie ist in vielen Fällen das einzige Mittel der guten Mächte, den Menschen vor den Fängen von Ahriman zu retten.

Und wenn Luzifer einen Sieg erringt in der menschlichen Natur, wenn also über die ahrimanischen Mächte, die den Menschen verhärten möchten, die ihn herunterziehen möchten in ihr Geschlecht von bloßen irdischen und Wasserwesen, luziferische Mächte einen Sieg erringen, so verfällt der Mensch in die empfindlichen katarrhalischen Krankheiten oder in irrsinnige Zustände. Wiederum wird dadurch dem Luzifer sein Sieg streitig gemacht. Daher ist es, dass diese ahrimanischen und luziferischen Mächte fort- während mit aller Kraft an dem Herbeiführen ihrer Siege arbeiten, dass sie aber eben traurig und enttäuscht werden an Krankenbetten, in Krankenhäusern und in Irrenhäusern. Denn da zeigt sich ihnen, dass sie zwar kämpfen können, dass sie aber unmöglich eigentlich siegen können.

Wenn wir genauer eingehen auf die Natur der ahrimanischen Wesenheiten, so ist diese eigentlich ätherisch. Und es fehlt den ahrimanischen Wesenheiten, die eigentlich die von Michael gestürzten Wesenheiten sind, die Möglichkeit, sich so zu entfalten, dass sie auf andere Art als durch den lebendig-begehrlich gewordenen Kalk Herrschaft bekommen könnten über die Erde. Die luziferischen Wesenheiten da oben, sie durchströmen und durchsetzen dasjenige, was da hinaufgezogen ist und sich nun in den oberen Elementen der Erde regsam macht. Sie durchsetzen das, und sie sind eigentlich, diese luziferischen Wesen, rein astralischer Natur. Sie bekommen nun die Hoffnung, durch alles das, was da im Frühling anfängt hinaufzustreben, ihre astralische Natur durchsetzen zu können mit ätherischer Natur und eine Ätherhülle der Erde hervorzurufen, die aber dann bewohnt werden könnte von ihnen selber. Man kann also sagen: Die ahrimanischen Wesen streben danach, die Erde astralisch zu beseelen; die luziferischen Wesenheiten streben danach, von oben herunter das Ätherische in ihr Wesen aufzunehmen.

Wenn im Frühling nun die Pflanzen zu sprießen beginnen, so assimilieren sie Kohlensäure, ziehen Kohlensäure ein. Und diese Kohlensäure ist etwas, was ja, weil die Pflanzendecke da ist, gewissermaßen im Frühling in einer höheren Region wirkt als im Winter; sie zieht sich hinauf, die Kohlensäure, nämlich in die Region, welche die Region der Pflanzen ist. Wenn also im Frühling die Pflanzen zu sprießen beginnen, dann wird diese Kohlensäure angezogen von den luziferischen Wesenheiten. Und während die ahrimanischen Wesenheiten eine Art astralischen Regens anstreben, um den lebendigen Kalk auch zu beseelen, erstreben die luziferischen Wesenheiten eine Kohlensäureerhebung, eine Art Kohlensäureverdunsten von der Erde aus nach oben hin.

Wenn sie das zuwege bringen würden, so würde auf Erden das Atmen aufhören müssen, und sie würden alles das, was der Mensch an sich hat ohne den physischen Atem, sein Ätherisches, hinaufziehen, und durch ihre Verbindung mit dem Ätherischen des Menschen würden sie in die Lage kommen, ätherische Wesenheiten zu werden, während sie so nur astralische Wesenheiten sind. Sodass – mit Vernichtung dessen, was unten an Menschlichem und Tierischem ist – da oben eine Hülle von ätherischen Engelwesen sein würde.

Das ist wiederum etwas, was, wenn der März, Ende März kommt, die luziferischen Geister anstreben und erhoffen. Sie erhoffen, die ganze Erde eigentlich in eine solche feine Erdenschale zu verwandeln, in der sie, verdichtet durch die Äthernatur der Menschen, ihr Wesen treiben können. Wenn die ahrimanischen Wesenheiten ihre Hoffnungen erfüllt bekämen, dann müsste die ganze Menschheit sich allmählich auf Erden auflösen. Die Erde würde den Menschen aufnehmen. Es würde zuletzt entstehen aus der Erde – das ist auch die Absicht Ahrimans – eine große Wesenheit, in der alle Menschen gewissermaßen aufgelöst wären. Sie wären verbunden mit dieser großen einheitlichen Erdenwesenheit.

Aber der Übergang zu diesem Verbundensein mit dieser Erdenwesenheit würde darin bestehen, dass der Mensch zunächst in seinem ganzen Organismus immer ähnlicher und ähnlicher würde dem lebendigen Kalk. Er würde lebendigen Kalk mit seinem Organismus verbinden und immer mehr verkalken. Er würde dadurch metamorphosieren, umwandeln seine Gestalt in eine Gestalt, die dann ganz anders aussehen würde, die etwa so aussehen würde: eine sklerotisierte Gestalt mit einer Art Fledermausflügeln und diesem Kopf. Die würde eben in der Lage sein, sich allmählich in dem Irdischen aufzulösen, sodass das Irdische dann auf ahrimanische Art als ganze Erde ein irdisch-lebendiges Wesen wäre.

Wenn die luziferischen Wesenheiten andererseits das Ätherische des Menschen heranziehen und sich dadurch gewissermaßen aus ihrer Astralität ätherisch verdichten könnten, dann würde aus ihnen auf ätherische Art etwas entstehen, was mehr oder weniger die unteren Partien des menschlichen Organismus nicht hätte, was aber auch die oberen Partien verändert hätte; was zum Beispiel vor allen Dingen einen wie aus Erdendunst gebildeten Leib, der aber nur bis zur Brust ausgebaut wäre, und dafür ein ins Idealische gesteigertes menschliches Haupt hätte. Aber nun käme das Eigentümliche, dass dieses Wesen Flügel haben würde, Flügel, die wie herausgeboren wären aus Wolken. Diese Flügel würden sich nach vorn konzentrieren zu einer Art vergrößerten Kehlkopfs; sie würden sich an der Seite hier zu Ohrenorganen, Gehörorganen konzentrieren, die wiederum mit dem Kehlkopf zusammenhängen.

Sie sehen, dasjenige, was sich da unten bildet, habe ich in der Gestalt des Ahriman, der drüben in der Kuppel malerisch geschaffen war und in der Holzgruppe eben plastisch geschaffen ist, wiederzugeben versucht; ebenso das, was im Luziferischen aus Erdendunst und Wolkenwallungen, wenn es das Ätherische der Erde aufnehmen könnte, sich bilden würde zu einer luziferischen Gestalt. Damit aber sind in das Erdenleben selber eingezeichnet die beiden Extreme des Menschen: dasjenige Extrem des Menschlichen, was der Mensch würde, wenn er sozusagen unter dem Einflusse des Ahriman aufnehmen würde den lebendigen Kalk und dadurch allmählich mit der Erde eins würde, aufgelöst würde in dem ganzen lebendig empfindenden Erdenwesen, das ist das eine Extrem. Das andere Extrem ist das, was der Mensch würde, wenn es den luziferischen Wesen gelingen würde, das, was sie wollen, auszuführen, nämlich von unten einen Dunst von Kohlensäure aufsteigen zu machen, sodass das Atmen verschwinden müsste, sodass die Menschen damit als physische Menschheit verschwänden, damit aber die Ätherleiber sich verbänden mit demjenigen, was als astralisches, luziferisches Engelwesen da droben ist.

Wiederum kann man sagen: Das sind Hoffnungen, das sind Illusionen der luziferischen Wesenheiten. – Wer seherisch den Blick hinausrichtet in die Weltenweiten, der sieht nicht etwa, wie es in dem Shakespeare’schen Stück heißt, bald ein Kamel, bald irgendetwas anderes in den ziehenden Wolken, sondern der sieht, wenn der März kommt, in den ziehenden Wolken die dynamisch strebenden Kräfte der luziferischen Engel, die da eine luziferische Hülle des Irdischen erzeugen wollen, die das Menschengeschlecht von der Erde entfernen wollen.

Zwischen diesen beiden Extremen schwebt der Mensch. Das wollen die ahrimanischen sowohl wie die luziferischen Wesenheiten: die Menschheit, wie sie als Menschheit der Gegenwart ist, austilgen. Innerhalb des Lebens der Erde äußern sich aber doch diese verschiedenen Einwirkungen. Wiederum ist es ja so, dass zwar dasjenige, was die luziferischen Wesen erhoffen, jedes Jahr aufs Neue zerstört wird für die äußere Natur; aber im Menschen wirkt es. Und der Mensch ist um die Frühlingszeit, wie er auf der einen Seite den ahrimanischen Kräften stark ausgesetzt ist, wiederum auch immer mehr und mehr – und es bleibt das dann durch den Sommer hindurch – den luziferischen Wesen ausgesetzt.

Nun ist das ja allerdings für das Menschenwesen, wie es jetzt schon einmal ist, so: Für das Menschenleben äußert es sich in der Weise, dass es ganz intim ist, dass es nur derjenige bemerkt, der eine spirituell-sensitive Natur hat und wirklich miterleben kann, was im Kosmos im Laufe des Jahres geschieht. Aber für frühere Zeiten, selbst noch für die spätatlantischen Zeiten hatte das eine große Bedeutung. In früheren Zeiten der Erdenentwicklung war zum Beispiel das menschliche Fortpflanzungswesen an den Jahreslauf gebunden. Da konnte eine Empfängnis nicht anders stattfinden als im Frühling, in jedem Frühling, wo die Kräfte so regsam wurden, wie ich es Ihnen jetzt erzählt habe, und da konnten Geburten nicht anders stattfinden als gegen das Ende des Jahres. Da war das Erdenleben auf eine gute Art mit dem Leben der Menschen verbunden.

Es ist nun ein Prinzip der luziferischen Wesen, alles auf Erden frei zu machen, und unter den Dingen, den irdischen, mehr sinnlichen Realitäten, die nun von den luziferischen Wesen frei gemacht worden sind, ist eben die Emanzipation des Empfangens und Geborenwerdens. Dass der Mensch zu jeder Jahreszeit geboren werden kann, das ist in früheren Zeiten bewirkt worden durch diese den Menschen von der Erde losreißende luziferische Kraft. Dies steckt sozusagen in der Freiheit des Menschengeschlechtes, in jeder Zeit des Jahres geboren werden zu können. Da sind wirklich die luziferischen Kräfte drinnen. […]

Dagegen setzen die ahrimanischen Kräfte alle Gewalt ein, die sie haben, um den Menschen wiederum mit der Erde zusammenzubringen. Und haben die luziferischen Wesen diesen großen Einfluss gehabt während eines früheren Lebens der Erde, so haben eigentlich die ahrimanischen Wesen Aussicht, wenigstens partiell, teilweise zu erreichen, was sie wollen, das heißt, den Menschen mit der Erde zu verbinden, indem sie gerade seine Gesinnung, seine Auffassung mit dem Irdischen zusammenschmelzen wollen. Sie wollen ihn nach jeder Beziehung ganz zum Materialisten machen, sie wollen, dass der Mensch eigentlich nichts können soll, als was die in ihm verdauten Nahrungsmittel an Denkkraft, an Gefühlskraft und so weiter hervorbringen. Und dieser Einfluss der ahrimanischen Wesenheiten macht sich besonders in unserem Zeitalter geltend und wird immer stärker und stärker werden. Wenn wir also zurückgehen in der Zeitenwende, dann kommen wir zu dem, was die luziferischen Wesen einmal erreicht haben und hinterlassen haben.

Wenn wir die Perspektive nach dem Erdenende zu richten, dann steht das Bedrohliche vor der Menschheit, dass die ahrimanischen Wesenheiten den Menschen, da sie ihn nicht in der Erde auflösen können, wenigstens dazu bringen, in sich zu verhärten, zu verphilistern, zu vermaterialisieren, sodass er eigentlich nichts mehr denkt und nichts mehr fühlt, als was automatisch die Stoffe in ihm denken und fühlen. Die luziferischen Wesenheiten haben für die Dinge, die ich geschildert habe, ihre, ich möchte sagen, naturbefreiende Wirkung damals erlangt, als der Mensch selber noch keine Freiheit hatte. Die Freiheit ist nicht entstanden durch einen Beschluss der Menschen oder auf abstrakte Weise, wie man es gewöhnlich schildert, sondern dadurch, dass solche naturhaften Dinge, wie die Verteilung der Geburten, frei geworden sind im Menschenleben.

Aus diesen naturhaften Dingen ist dann überhaupt das Walten der Freiheit gewissermaßen aufgestiegen. Es war schon in älteren Zeiten sehr stark wahrnehmbar, dass der Mensch seine Nachkommen zu jeder Jahreszeit auf die Erde stellen kann, und das hat ihn dann auch seelisch und geistig mit dem Freiheitsgefühl durchdrungen. So sind die Dinge. Die hängen viel mehr am Kosmos, als man gewöhnlich sich erträumt. Aber jetzt, wo der Mensch in die Freiheit aufgerückt ist, jetzt soll er gerade unter dem Einfluss seiner Freiheit dieses Bedrohliche aus der Welt schaffen, dass ihn Ahriman an die Erdenverhältnisse kettet. Dieses Bedrohliche steht als eine Perspektive der Zukunft vor ihm. Und da sehen wir denn, wie ein Objektives in der Erdenentwicklung geschehen ist: das Mysterium von Golgatha.

Das Mysterium von Golgatha ist nicht als einmaliges Ereignis bloß geschehen. Wohl musste es sich als einmaliges Ereignis hinstellen in das Erdengeschehen, aber es wird dieses Ereignis, dieses Mysterium von Golgatha jedes Jahr in einer gewissen Weise für den Menschen erneuert.“

Wer ein Gefühl dafür entwickelt, wie da oben das Luziferische im Kohlensäuredampf ersticken will die physische Menschheit, wie da unten das Ahrimanische im astralischen Regen die ganze Erde so beleben will in ihren Kalkmassen, dass der Mensch sich in ihr zunächst sklerotisiert, auflöst, wer das durchschaut, für den ersteht zwischen dem Luziferischen und dem Ahrimanischen die Gestalt des Christus, die Gestalt des sich von der Materie befreienden Christus, der den Ahriman zu seinen Füßen hat, sich herausentwickelt aus dem Ahrimanischen, nicht berücksichtigend das Ahrimanische, es überwindend, wie es hier malerisch und plastisch dargestellt worden ist. Und er sieht diesen Christus, wie er auf der andern Seite überwindet, was nur eben das Obere des Menschen wegziehen will von der Erde.

Es erscheint der Kopf jener Gestalt, die über den Ahriman siegt, es erscheint der Christus-Kopf in einer solchen Physiognomie, in einem solchen Blick, in einer solchen Antlitzgebärde, dass dieser Blick, diese Antlitzgebärde abgerungen ist den verflüchtigenden Kräften des Luzifer. Hereingezogen die luziferische Gewalt in das Irdische, hineingestellt in das Irdische, das ist die Gestalt des Christus, wie er jedes Jahr im Frühling erscheint, wie wir ihn uns vorstellen müssen: Stehend auf dem Irdischen, das zum Ahrimanischen gemacht werden soll, siegend über den Tod, auferstehend aus dem Grab, sich hinauferhebend als Auferstandener zur Verklärung, zur Verklärung, die da kommt durch das Hinüberführen des Luziferischen in die irdische Schönheit des Christus-Antlitzes. Und so erscheint zwischen dem Ahrimanischen und dem Luziferischen der in seiner Auferstehungsgestalt sich vor das Auge rückende Christus als die Ostererscheinung, die Ostererscheinung, die sich so hinstellt vor den Menschen: der auferstandene Christus, oben überschwebt von luziferischen Gewalten, unten gegründet auf ahrimanische Gewalten.

Heilsame Wirkung des Christus-Impulses

Wichtige Heilungskräfte für die Seele kommen aus dem Christus-Impuls. Darauf hat Rudolf Steiner immer wieder hingewiesen. In der nachfolgenden Passage aus dem Vortrag vom 8. Mai 1912 in Köln schildert er – noch vor der Grundsteinlegung des Johannesbaus in Dornach und den ersten Entwürfen der Skulpturengruppe des «Menschheitsrepräsentanten» – eine zukünftige künstlerische Gestaltung des Christus-Antlitzes. Es sollten sich darin die seelischen Qualitäten ausdrücken, die Kräfte, aus denen die geistigen Hüllen des Christus-Wesens bestehen, die ihm die Menschen für sein irdisches Wirken entwickeln können.

Auf der Stirne das Staunen …

Es sind dies die seelischen Qualitäten des Verwunderns oder Staunens, des Mitgefühls und des Gewissens. Mit ihnen verbindet sich der Christus, aus ihnen formt er seinen physischen Leib, seinen Ätherleib und seinen Astralleib, um in der Erdensphäre wirken zu können. Die Verwunderung des Menschen, seine Liebe und sein Mitleid, aber auch seine moralischen Instinkte, sein Gewissen, erweisen sich dabei als heilsame Kräfte in einem weitreichenden Sinne. Sie müssten auch das Antlitz des Christus prägen, wenn man es wahrhaftig darstellen würde, wie Rudolf Steiner es dann selbst in der Skulptur des «Menschheitsrepräsentanten» unternommen hat: auf der Stirne das Staunen, im Blick, in den Augen das Mitleid und in der Mundpartie das gewissenhafte Sprechen.

Aber wie kommt dieser Christus-Geist zu seinen geistigen Hüllen? Zu den Hüllen, in denen er dann weiter wirken wird?

Er ist als Impuls, gleichsam als die Seele der Erde heruntergestiegen in die Erdensphäre bei dem Mysterium von Golgatha. Auch bei dem Christus-Wesen muss sich etwas bilden, was man seine Hüllen nennen könnte. Woraus nimmt sich eine solche Wesenheit ihre Hüllen? Nicht so wie beim Menschen geschieht das, aber auch der Christus wird eine Art vergeistigten physischen Leibes, eine Art Ätherleib und eine Art Astralleib haben. Woraus werden diese Leiber bestehen?

Das sind Dinge, die vorläufig nur angedeutet werden können. Der Christus ist durch die Taufe im Jordan ja herabgestiegen in die Hüllen des Jesus von Nazareth. Diese hat er benützt, in ihnen hat er gelebt, in ihnen hat er das Abendmahl mit seinen Jüngern genossen, in ihnen hat er Gethsemane durchlebt, in ihnen ist er beschimpft und verhöhnt worden, in ihnen hat er das Mysterium von Golgatha durchgemacht. Dann ist er auferstanden und lebt seitdem als Geistiges der Erde mit ihr verbunden; er schafft sich etwas Ähnliches, wie es der Mensch in seiner Umhüllung hat.

Nach und nach gliedert sich im Laufe der Epochen um den ursprünglichen, rein geistigen Christus-Impuls, der in der Johannestaufe herniederstieg, etwas herum, das wie ein Astralleib, Ätherleib und physischer Leib ist. Alle diese Hüllen werden aus Kräften gebildet, die von der Menschheit auf der Erde entwickelt werden müssen. Welche Kräfte sind das?

Die Kräfte der äußeren Wissenschaften können dem Christus keinen Leib geben, man erfährt durch sie nur etwas über Dinge, die verschwunden sein werden in der Zukunft, die später nicht mehr vorhanden sein werden. Eines aber geht der Erkenntnis voraus, was für die Seele einen unendlich höheren Wert hat als die Erkenntnis selbst. Das ist dasjenige, was die griechischen Philosophen als den Anfang aller Philosophie ansahen: das Verwundern oder das Erstaunen. Sind wir zum Erkennen gekommen, dann ist eigentlich schon vorbei, was in der Seele Wert hat.

Die Menschen, die sich verwundern können über die großen Erkenntnisse und Wahrheiten der geistigen Welt, die prägen sich ein dieses Gefühl der Verwunderung, und was sie sich da einprägen, das bildet im Laufe der Zeiten eine Kraft, die eine Anziehungskraft für den Christus-Impuls bedeutet, die heranzieht den Christus-Geist: Der Christus-Impuls verbindet sich mit der einzelnen Seele des Menschen, insoweit sich die Seele über die Geheimnisse der Welt verwundern kann. Der Christus nimmt seinen astralischen Leib aus der Erdenentwicklung aus all den Gefühlen, die als Verwunderung in den einzelnen Seelen der Menschen gelebt haben.

Das Zweite, was die Menschenseelen ausbilden müssen, wodurch sie den Christus-Impuls heranziehen, das sind alle Gefühle des Mitleids. Und jedes Mal, wenn ein Gefühl des Mitleids oder der Mitfreude in der Seele entwickelt ist, so bildet das eine Anziehungskraft für den Christus-Impuls, und der Christus verbindet sich durch Mitleid und Liebe mit der Seele des Menschen. Mitleid und Liebe sind die Kräfte, aus denen der Christus sich seinen Ätherleib formt bis zum Ende der Erdenentwicklung. Mit Bezug auf Mitleid und Liebe könnte man geradezu von einem Programm sprechen – wenn man grob sprechen wollte –, das die Geisteswissenschaft erfüllen muss in der Zukunft.

Der Materialismus hat es heute auf diesem Gebiete sogar – was niemals vorher auf der Erde geschehen ist – zu einer schändlichen Wissenschaft gebracht. Das Schlimmste, was geleistet wird heute, ist das Zusammenwerfen von Liebe und Sexualität. Das ist der schlimmste Ausdruck des Materialismus, das Teuflischste der Gegenwart. Die Dinge, die auf diesem Gebiet geleistet werden, sie werden erst herausgeschält werden müssen. Sexualität und Liebe haben gar nichts miteinander zu schaffen in ihrer wahren Bedeutung. Sexualität kann zur Liebe hinzukommen, hat aber mit der reinen, ursprünglichen Liebe überhaupt nichts zu tun.

Die Wissenschaft hat es bis zur Schändlichkeit gebracht, indem sie eine ganze Literatur aufbrachte, die sich damit beschäftigt, diese beiden Dinge in Zusammenhang zu bringen, die gar nicht im Zusammenhang stehen.

Ein Drittes, das hereinzieht in die Menschenseele wie aus einer höheren Welt, das ist das Gewissen, dem sich der Mensch fügt, dem er einen höheren Wert beilegt als seinen eigenen, individuellen moralischen Instinkten. Mit ihm verbindet sich der Christus am innigsten: aus den Gewissensimpulsen der einzelnen Menschenseelen entnimmt der Christus seinen physischen Leib. So wird ein Ausspruch in der Bibel sehr real, wenn man weiß, dass aus den Mitleids- und Liebegefühlen der Menschen der Lebensleib des Christus sich bildet: «Was ihr einem der geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan», denn Christus bildet seinen Lebensleib bis ans Ende der Erdentwicklung aus Mitleid und Liebe der Menschen. Wie der Christus seinen astralischen Leib aus dem Verwundern und Erstaunen bildet, wie er seinen physischen Leib aus dem Gewissen bildet, so bildet er seinen Ätherleib aus den Gefühlen des Mitleids und der Liebe.

Warum können wir jetzt gerade diese Dinge sagen? Weil einmal ein großes Problem gelöst werden wird für die Menschen, nämlich die Christus-Gestalt auf den verschiedensten Gebieten des Lebens darzustellen, wie sie wirklich ist. Dann erst wird man sie schauen, wie sie ist, wenn man mancherlei von dem berücksichtigt, was Geistesforschung zu sagen hat; da darf man nicht zurückschauen auf dasjenige, was in Palästina war – da hat ja der Christus die Hüllen des Jesus benützt. Wenn man nach langem Vertiefen in die geisteswissenschaftliche Christus-Idee einmal versuchen wird, den Christus darzustellen, da wird man eine Gestalt bekommen, an der man erkennt, dass in seinem Antlitz etwas enthalten ist, woran sich alle Kunst abmühen kann, aber auch abmühen muss und wird: In seinem Antlitz wird dann etwas enthalten sein von dem Sieg der Kräfte, die nur im Antlitz sind, über alle anderen Kräfte der menschlichen Gestalt.

Wenn die Menschen werden bilden können ein Auge, das lebt und nur Mitleid strahlt, einen Mund, der nicht geeignet ist, zu essen, sondern nur zum Sprechen jener Wahrheitsworte, die das auf des Menschen Zunge liegende Gewissen sind, und wenn eine Stirn gebildet werden kann, die nicht schön und hoch, sondern die in der deutlichen Ausgestaltung dessen schön ist, was sich nach vorn spannt zu dem, was wir die Lotusblume zwischen den Augen nennen – wenn einmal dies alles gebildet werden kann, dann wird gefunden werden, warum der Prophet sagt:

Er ist ohne Gestalt und Schöne.“

Dies heißt nicht Schönheit, sondern es ist das, was siegen wird über die Verwesung: die Gestalt des Christus, wo alles Mitleid, alles Liebe, alles Gewissenspflicht ist.

Und so geht die Geisteswissenschaft als ein Kern hinüber in das menschliche Fühlen, in das menschliche Empfinden. Alle Lehren, welche die Geistesforschung zu geben vermag, bleiben nicht, sie verwandeln sich in unmittelbares Leben in der menschlichen Seele. Und die Früchte der Geisteswissenschaft werden allmählich Lebensverhältnisse sein, welche wie eine äußere Verkörperung erscheinen werden der Geisteserkenntnis selbst, dieser Seele der zukünftigen Menschheitsentwicklung, so wie sie werden muss.

Mit solchen Gedanken möchte ich einiges in Ihrer Seele angeschlagen haben, was angeschlagen werden kann, wenn man nicht mit trockenen Worten, sondern so gerne mit Gefühlsideen und Gefühlsnuancen sprechen möchte zu den geisteswissenschaftlich Strebenden, sodass diese Gefühlsnuancen und -ideen leben und wirken, damit sie draußen da sein können in der Welt. Wenn in den Herzen solche Gefühlsnuancen leben, so werden sie ein Quell von Wärme sein, die ausströmt in die ganze Menschheit.

Und diejenigen, die daran glauben, werden auch an die Wirkung ihrer schönen Empfindungen glauben, werden glauben daran, dass eine jede Seele so empfinden – auch wenn sie das Karma nicht anweist, äußerlich davon Ausdruck zu geben – und dadurch unsichtbare Wirkungen erzeugen kann, welche das, was durch die Geisteswissenschaft in die Welt kommen soll, wirklich in die Welt bringen.

Grundsteinspruch

Am Ende dieser Textsammlung soll der „Grundsteinspruch“ zur ideellen Begründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft stehen, jene Worte, mit denen Rudolf Steiner die Weihnachtstagung 1923 eröffnet und auch beschlossen hat. Er richtet sich an die Menschenseele und umfasst alle Aspekte der Seele und des Menschen als eines seelisch-geistigen Wesens, die in dieser Textzusammenstellung angesprochen wurden.

Menschenseele!
Du lebest in den Gliedern,
Die dich durch die Raumeswelt
Im Geistesmeereswesen tragen:
Übe Geist-Erinnern
In Seelentiefen,
Wo in waltendem
Weltenschöpfer-Sein
Das eigne Ich
Im Gottes-Ich
Erweset;
Und du wirst wahrhaft leben
Im Menschen-Welten-Wesen.
Denn es waltet der Vater-Geist der Höhen
In den Weltentiefen Sein-erzeugend.
Seraphim, Cherubim, Throne,
Lasset aus den Höhen erklingen,
Was in den Tiefen das Echo findet;
Dieses spricht:
Ex deo nascimur.
Das hören die Elementargeister
Im Osten, Westen, Norden, Süden;
Menschen mögen es hören.
Menschenseele!
Du lebest in dem Herzens-Lungen-Schlage,
Der dich durch den Zeitenrhythmus
Ins eigne Seelenwesensfühlen leitet:
Übe Geist-Besinnen
Im Seelengleichgewichte,
Wo die wogenden
Welten-Werde-Taten
Das eigne Ich
Dem Welten-Ich
Vereinen;
Und du wirst wahrhaft fühlen
Im Menschen-Seelen-Wirken.
Denn es waltet der Christus-Wille im Umkreis
In den Weltenrhythmen Seelen-begnadend.
Kyriotetes, Dynamis, Exusiai,
Lasset vom Osten befeuern,
Was durch den Westen sich gestaltet;
Dieses spricht:
In Christo morimur.
Das hören die Elementargeister
Im Osten, Westen, Norden, Süden;
Menschen mögen es hören.
Menschenseele!
Du lebest im ruhenden Haupte,
Das dir aus Ewigkeitsgründen
Die Weltgedanken erschließet:
Übe Geist-Erschauen
In Gedanken-Ruhe,
Wo die ew’gen Götterziele
Welten-Wesens-Licht
Dem eignen Ich
Zu freiem Wollen
Schenken;
Und du wirst wahrhaft denken
In Menschen-Geistes-Gründen.
Denn es walten des Geistes Weltgedanken
Im Weltenwesen Licht-erflehend.
Archai, Archangeloi, Angeloi,
O lasset aus den Tiefen erbitten,
Was in den Höhen erhöret wird;
Dieses spricht:
Per spiritum sanctum reviviscimus.
[Das hören die Elementargeister
Im Osten, Westen, Norden, Süden;
Menschen mögen es hören.]
In der Zeiten Wende
Trat das Welten-Geistes-Licht
In den irdischen Wesensstrom;
Nacht-Dunkel
Hatte ausgewaltet;
Taghelles Licht
Erstrahlte in Menschenseelen;
Licht,
Das erwärmet
Die armen Hirtenherzen;
Licht,
Das erleuchtet
Die weisen Königshäupter.
Göttliches Licht,
Christus-Sonne,
Erwärme
Unsere Herzen;
Erleuchte
Unsere Häupter;
Dass gut werde,
Was wir aus Herzen
Gründen,
Aus Häuptern
Zielvoll führen wollen.

Textauszüge aus dem Buch „Die Welt der Seele“, erschienen im Rudolf Steiner Verlag, ISBN: 978-3-7274-5361-8.

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