Yoga

Yin-Yoga im Jahreskreis

Von der Blüte zur Frucht

Vorausgeschickt soll werden, dass dies keine ganzheitliche Abhandlung über die Lehre der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) ist, sondern einen Teilaspekt in Hinblick auf die Praxis von Yin-Yoga betrachtet. Im Fokus steht dabei der Jahreskreis, in dem die 5 Elementen der TCM durchschritten werden. Yin-Yoga bietet dir die Möglichkeit in den Jahreskreis einzutauchen, die Qualitäten der gerade vorherrschenden Elemente in deiner Praxis wirken zu lassen und einen Prozess zu manifestieren. Du gelangst vom Säen eines Samens hin zur Blüte und Frucht, erlaubst dir Zentrierung und Manifestation.

12 Meridiane

Die einzelnen Yin-Yoga Positionen sind den 12 Meridianen beziehungsweise Energie-Leitbahnen sowie den 5 Elementen der TCM zugeordnet und damit auch den Organen, die mit den Meridianen in Verbindung stehen. In der TCM spricht man von Qi, was so viel bedeutet wie Lebensenergie. Fließt das Qi frei in den Leitbahnen, ist dies eine gute Voraussetzung für deine Gesundheit, dein Wohlbefinden. Wie gelingt das? Speziell das lange Halten der einzelnen Positionen, in denen du jegliche Art der Muskelanspannung abgibst, macht es möglich. Auf diese Weise können die Meridiane im Körper stimuliert und der Energiefluss harmonisiert werden. Dabei bedienst du dich mit Yin-Yoga einer sehr sanften und meditativen Art von Yoga, das tief im faszialen Gewebe wirkt.

Dehnungen im Sitzen oder Liegen

Es handelt sich um Dehnungen, die meist im Sitzen oder Liegen ausgeführt werden. In einer Haltung stützt du deinen Körper mit yogischen Hilfsmitteln wie Blöcken, Polster, Decken. Ein in die Position Hineinsinken ist dir damit auf sichere und stabile Weise gegeben – auch durch die individuelle Anpassung an deine Bedürfnisse und anatomische Konstitution. Während der Praxis kann dein Atem frei fließen, du selbst kannst dich ganz der Innenschau hingeben und die Wirkung der Haltung beobachten. Das bewusste Beobachten verankert dich im Moment. Ergänzen kannst du deine Praxis mit Klängen, Mantren und Affirmationen, dem Visualisieren von Farben, dem Ansprechen deiner Chakren – da sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt.

Begib dich auf eine Reise

Im Folgenden begibst du dich auf eine Reise durch den Jahreskreis, tauchst in die Qualität der 5 Elemente ein. Zu jedem Element wird dir eine Yin-Yoga-Position vorgestellt, die darauf ausgerichtet ist, die entsprechenden Meridiane und die ihnen zugeordneten Yin- und Yang-Organe zu stimulieren. Umrahmt werden die Elemente-Übungen von einer Haltung zum bewussten Ankommen und einer weiteren zur Endentspannung.

Frühlingserwachen

Unsere gemeinsame Reise beginnt im Frühling mit dem Element Holz und dem Organpaar Leber (Yin) und Gallenblase (Yang). Holz steht für Spielfreude, Kreativität, Schöpferkraft und Freiheitsdrang. Holz repräsentiert auch die ungestüme Kindheit des Menschen. Holz will wachsen. Dynamisch stößt es an seine Grenzen. Die Farbe Grün und lang gestreckte hoch gewachsene Formen entsprechen dem Holz. Die Tugend des Holzes ist Vergebung und Güte – das Gegenteil von Wut, die herkömmlich mit der Leber und Galle in Verbindung gebracht wird. Das Holz-Qi schenkt dir Mitgefühl und die Kunst des Verzeihens. Zudem ist der Leber-Meridian für den reibungslosen Fluss des Qi verantwortlich. Pläne können in dieser Zeit geschmiedet werden. Dafür zeichnet die Leber-Energie verantwortlich. Zur Umsetzung bringt dich die Galle.

Seiza-Position

Als Vorbereitung finde dich in der Seiza-Position ein, stütze dich dabei mit einer Decke unter den Knien, Schienbeinen und dem Fußrist. Eventuell ist eine weitere Decke oder ein Polster zwischen Gesäß und Fersen angenehm. Mach es dir bequem und nimm Kontakt zum Boden auf. Erlaube dir entlang der natürlichen Ausrichtung deiner Wirbelsäule über den Scheitelpunkt deines Kopfes hinaus anzuwachsen. Finde in deiner Haltung zu Entspannung. Lasse vor allem deine Gesichtszüge weich und sanft werden. Wenn du dich gefunden hast, dann spüre hin zu deinem Atem. Ohne ihn zu verändern, beobachtest du das Ein- und Ausströmen des natürlichen Atemflusses.

Komm in den Schmetterling

Mit jedem Einatem strömt frische Energie in dich, mit jedem Ausatem gibst du Müdigkeit, Verbrauchtes, Angestautes ab. Erlaube dir, in deiner Kraft anzukommen. Nach einigen Minuten der Zentrierung wechselst du in den Schmetterling. Stütze deine Obeschenkel-Außenseiten in der Hüftöffnung mit Blöcken oder Decken, eventuell setzt du dich auf ein Kissen, damit dein Becken aufgerichtet ist und du dich leichter aus der Hüfte in eine Vorbeuge begeben kannst. Deinen Kopf kannst du ebenso mit einem Polster stützen.

Frage dich in deinen Positionen stets, ob es sich so anfühlt, als könntest du 20 Minuten verweilen. Wenn ja, dann erlaube dir einzutauchen, ansonsten wandelst du deine Haltung so ab, dass du dich wohlfühlst. Finde schließlich zu deinem Dehnimpuls, verbleibe dort mit deiner Aufmerksamkeit. Wenn du möchtest, findest du im Schmetterling das Pandant zur Haltung eines Samen in der Erde, der bereit ist zu sprießen. Halte deine Position für rund 5 Minuten. Ganz langsam löst du diese danach auf, ebenso langsam richtest du dich in der nächsten Haltung ein. Auch der Weg aus und in Positionen ist Praxis.

Mit Energie in die Blüte

Das Element Feuer steht für Aktivität und Lebenskraft, auch für geistige Erweiterung und Spiritualität. Jahreszeitlich dem frühen Sommer zugeordnet, symbolisiert Feuer im Lebenszyklus die ersten Schritte zur Selbstverwirklichung. Der anregenden Feuerenergie sind die Meridiane Herz (Yin) und Dünndarm (Yang) zugeordnet.

Lege dich auf den Rücken und finde dich im Halbmond beziehungsweise der Banane ein. Halte die Position zu beiden Seiten etwa 5 Minuten, ruhe dazwischen und danach etwas in neutraler Rückenlage. Verbinde dich im Halbmond mit deiner Herzqualität, erfahre Lebensfreude, Energie und Erkenntnis. Die Energien des Dünndarm-Meridians ist Klarheit. Erlaube dir zu erkennen, was dir gut tut.

In deiner Mitte angekommen

Die Wandlungsphase Erde symbolisiert die Mitte im Jahreskreis, den späten Sommer und im Leben die Zeit der Reife. Gelb-, Ocker- und Brauntöne stehen für diese Übergangsphase, die ein Verwandeln repräsentiert. In unserem Körper zählen unter anderem Magen (Yang) und Milz (Yin) zum Erdelement. Ist das Erdelement ausgeglichen, fühlst du dich in dir ruhend, geerdet und mitfühlend. Du kannst dich schnell an neue Situationen oder Umgebungen anpassen. Im Ungleichgewicht machen wir uns Sorgen, die sich schon mal sprichwörtlich auf den Magen schlagen können.

Finde dich in einer gestützten Rückbeuge wieder. Die Sphinx oder der Seelöwe bieten sich an. Achte darauf, dass du keine ompression im unteren Rücken verspürst. Gehe tiefer, also aus der Position heraus, wenn dies der Fall sein sollte. Wenn du die Dehnung intensivieren möchtest, dann strecke deine Arme aus und komme im Seelöwen an. Tauche ein in die Dehnung deiner Körpervorderseite.

Im Geiste rezitiere: Ich fühle mich ausgeglichen und flexibel.

Loslassen

Mit einer Klarheit darüber, was dir gut tut, hilft dir der Herbst im Element Metall, dich von alten Gewohnheiten zu trennen. Metall steht für Entschlossenheit, auch für Rückzug und Lebensabend. Im Gefühlsbereich sind es Trauer, aber auch Vertrauen und Mut, die mit dieser Phase einhergehen. Weiß ist die Farbe dieses Elementes. Auf der Körperebene beziehen wir uns auf Lunge (Yin) und Dickdarm (Yang).

In Rückenlage bringst du deine Beine heran und legst sie rechts im liegenden Twist ab. Stütze deine Schulter, deine Beine. Wenn du im Bereich des Ilioakralgelenks für Stabilität sorgen möchtest, dann kommst du aus der Seitenlage in die Öffnung des Oberkörpers.

Stelle dir vor, wie du dich in einer schützenden Hülle aus weißem Licht mit Mut zum Loslassen auftankst. Komme nach 5 Minuten in die Mitte zurück, lege dich auf den Rücken, spüre nach. Nimm 3 tiefe Atemzüge und erlaube dir mit dem Ausatmen aus dem Mund konkret abzugeben: ein Muster, das dir nicht mehr dient, eine Gewohnheit, ein Gefühl, ein Gedanke. Wiederhole die Sequenz auf der anderen Seite.

In Ruhe erfahre ich Unendlichkeit

Im Wasserelement kommt die geistige Ebene zum Zug. Wasser denkt über die Grenzen des Greifbaren hinaus. In unserem Lebenszyklus wie im Jahreskreis kehrt mit dem Wasser der Winter ein – eine Zeit der Innenschau. Nieren (Yin) und Blase (Yang) repräsentieren diese Phase, in der es dir gelingen kann, völlig in Ruhe einzutauchen und Energie zu tanken. Diese Qualität enthält bereits wieder die Energie des Neubeginns, des Frühlings. Ist das Wasser in Balance, resultieren daraus Furchtlosigkeit, Willenskraft, Durchhaltevermögen und Anpassungsfähigkeit.

Finde dich im Kind ein, du kannst dich mit einem Polster stützen, dich zudecken. Komm ganz bei dir an. Halte die Position bis zu 7 Minuten, beobachte gezielt die Vorgänge in deinem Körper. Anschließend findest du in die Endentspannung in der Rückenlage. Nimm wahr, wie dein Atem fließt. Spürst du vielleicht ein Kribbeln? Wärme? Mit einem Bodyscan lässt du etwaige Anspannungen aus den einzelnen Körperteilen weichen. Geh deinen Körper in Gedanken vom Kopf bis zu den Zehen ab und entspanne.

Text: Mag. Christina Kiehas | YogenaYoga – Yoga & Nuad | www.yogena.at

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